Offener Brief an das „DAS DA THEATER“ Aachen wegen des Diskriminierungsvorfalls in der Vorstellung „Die Goldfische“
Geschäftsführender Gesellschafter, künstlerischer Leiter, Regisseur, Dramaturg: Tom Hirtz Künstlerische Leiterin, Regisseurin, Dramaturgin: Maren Dupont
Berlin, 20.11.2023
Verfasserin: Sophia Neises
Sehr geehrte Tom Hirtz und Maren Dupont,
im Namen der 342 Unterzeichner*innen dieser Stellungnahme und den darauf folgenden Forderungen, wenden wir uns heute öffentlich an Sie. Wir unterbrechen den Zyklus, in dem Diskriminierung öffentlich stattfinden darf und die Verteidigung der Betroffenen im Verborgenen bleibt und unsichtbar gemacht wird.
Stellungnahme
Nach dem gleichnamigen Film „Die“ besetzten nun auch in Aachen ausschließlich nicht-behinderte Schauspieler*innen Charaktere mit Behinderung. Die Beschreibung des Stückes sagt: „Am DAS DA Theater ist die Bühnenfassung des Films über Inklusion und einen schrägen Roadtrip als Aachener Erstaufführung zu sehen.“ Es ist anmaßend in diesem Bezug den Begriff Inklusion überhaupt zu verwenden. Allein schon, da es keinerlei Barrierefreiheitsangebote wie z. B. Audiodeskription, Gebärdensprachverdolmetschung oder eine Übersetzung in leichte Sprache für ein inklusives Publikum gibt. 2009 hat die Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet. In Artikel 30 zur Kulturellen Teilhabe heißt es: „Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft.“
Mit der Besetzung von „Die Goldfische“ reproduziert der Regisseur Tom Hirtz die diskriminierende Praxis des Cripping-up, bei der nichtbehinderte Menschen behinderte Charaktere spielen.
Behinderte Rollen tauchen im Kanon der deutschen Theaterlandschaft nahezu nicht auf. Wenn der Fall jedoch eintritt, wie bei „Die Goldfische“, werden diese wenigen Beschäftigungsmöglichkeiten, im Widerspruch zur UNBRK, an nichtbehinderte Spieler*innen vergeben.
Das „DAS DA Theater“ hat sich für besagte Vorlage entschieden, um das Thema Inklusion und selbstbestimmte behinderte Menschen mehr in das Bewusstsein des Mainstreams zu bringen. Die Entscheidung zu der Vorlage wurde allerdings von nichtbehinderten Menschen getroffen und wird im Sinne von Repräsentation von selbstbestimmter behinderter Identität nicht von der aktivistischen Behinderten-Community und ihren Alliierten unterstützt.
Schon im Produktionsprozess wiesen verschiedene Personen die Verantwortlichen darauf hin, dass sich behinderte Menschen selbst repräsentieren sollten. Statt daraufhin die Entscheidung zu hinterfragen und die Diskriminierung zu vermeiden, wurde ein zu straffer Zeitrahmen vorgeschoben. Daraufhin wurde nicht darüber nachgedacht, warum wir überhaupt noch ableistischen Leistungsdruck als Argument nutzen. An Stelle einer Auseinandersetzung mit Zugängen und Teilhabe an Theatern für behinderte Menschen erfolgte wieder mal Cripping-Up. Behinderung ist aber kein Kostüm, sondern eine Identität.
Auf Kritik seitens behinderter Menschen und ihrer Alliierten weist die Öffentlichkeitsstelle des Theaters darauf hin, dass sich das Ensemble der Produktion mit Schauspieler*innen des inklusiven Aachener SOSH Theater, welches unter nichtbehinderter Leitung steht, ausgetauscht habe. Allerdings kann dieser Austausch nur mit einem exotisierenden Zoobesuch gleichgesetzt werden. Schamlos werden in einer Behinderung eigene Bewegungs-/ Sprach-/ und Verhaltensmuster studiert und sich für den eigenen Profit angeeignet. Die ableistische Praxis, die dahinter steht, reproduziert die Ausbeutung, die behinderte Menschen, gerade in der Kunst, wieder und wieder erleben müssen. Wohingegen sie mit ihrer eigenen Ästhetik im Alltag diskriminiert werden, also aus dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, nicht an Schauspielschulen ausgebildet werden und in vielen anderen Lebensbereichen verstoßen und in Segregation gehalten werden, erlangen nicht-behinderte Menschen mit der Aneignung besagter Bewegungs-/ Sprach-/ und Verhaltensmuster Lob für ihre herausragende Schauspielerische Leistung und vor Allem: Finanzielle Sicherheit.
Nun leben wir in einem System, welches behinderte Menschen grundsätzlich heilen möchte und täglich daran scheitert, mit Diversität angemessen umzugehen. Dieses strukturelle Problem führt zwangsläufig dazu, dass wenn ausschließlich nicht-behinderte Künstler*innen Machtpositionen besetzen, ableistische Vorurteile ungefiltert der Öffentlichkeit gezeigt werden. So lebt bei „Die Goldfische“ eine Gruppe erwachsener behinderter Menschen selbstverständlich in einer bevormundenden betreuten Wohngruppe mit einem Namen, der stark an die Gruppennamen in Kindergärten erinnert. Die autistische Person wiederholt sich ständig, dem Menschen mit Downsyndrom hängt die Zunge aus dem Mund, die blinde Person stolpert in ihrer gewohnten Umgebung über Möbelstücke und die Person die nicht behindert sozialisiert ist und sich auch nicht mit den anderen Mitgliedern der Gruppe identifiziert, wird zum Sympathieträger und erlebt eine Liebes-/ und Erfolgsgeschichte.
Diese Reproduktion stereotyper Darstellungen behinderter Menschen hat REALE KONSEQUENZEN darauf, wie Menschen mit Behinderung behandelt, angenommen und ernst genommen werden.
Kunstfreiheit bei der Wahl der Besetzung ist erst dann ein Argument, wenn sie ALLEN zusteht! Wir werfen dem „DAS DA THEATER“ wissentliche Diskriminierung vor. Kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht, auch behinderter Menschen, siehe UN – BRK Art. 30.
Behindert sein ist keine Entscheidung. Exklusion und Ableismus allerdings schon!
Forderung
Wir fordern, aus oben genannten Gründen, dass die Vorstellungen von „Die Goldfische“ abgesetzt werden und das Theater eine öffentliche Stellungnahme abgibt, in der es sich für die Diskriminierung bei den Betroffenen entschuldigt! Des Weiteren fordern wir eine intensive Auseinandersetzung mit strukturellem Ableismus unter der engen und bezahlten Zusammenarbeit mit behinderten Menschen in beratender, leitender und künstlerischer Funktion.
Sophia Neises – F I A – Future Is Accessible
Hier findet ihr den Offenen Brief und könnt gern Unterzeichnen.