Wo liegt es eigentlich, das „Problem“ mit der Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomie 21 in der Frühschwangerschaft? Handelt es sich dabei nicht um die Möglichkeit, eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen sein Kind möglichst früh in der Schwangerschaft treffen zu können?
Die Problematik der Kassenfinanzierung liegt wohl eher darin, dass der Bluttest, finanziert von der Solidargemeinschaft, suggeriert, es sei völlig in Ordnung und nicht weiter problematisch, sein Kind aufgrund des Down-Syndroms nicht zu bekommen. Die hier unmittelbar anschließenden ethischen und gesellschaftspolitisch Fragen sind bis dato nicht beantwortet worden. Der Gesetzgeber in Deutschland weigert sich, den Zugang zu den Tests zu regeln und scheut eben vor allem die Debatte jenseits der medizinisch-technischen Bewertung des NIPT. Warum? Wahrscheinlich weil eine solche Debatte uns allen den Spiegel vorhalten würde und die tief in uns verankerte Angst vor (geistiger) Behinderung zutage fördern würde. Aber die Debatte wäre so wichtig für uns als Gesellschaft – denn nur so können Berührungsängste abgebaut werden – indem wir uns ihnen stellen. Wir als Gesellschaft werden nicht toleranter, diverser und inklusiver, wenn wir alles, was anders oder komplizierter scheint, von Anfang an verhindern. Und dessen sollten wir uns bewusst werden!
Im Zusammenhang mit dem NIPT habe ich mir daher vorgestellt, wir würden in einer Welt leben, in der das vorherrschende Narrativ zu Trisomie 21 positiver ist. Es sollte nichts beschönigt oder durch die rosa-rote Brille gesehen werden, dennoch kann eine Diagnose doch begleitet werden von ermutigenden Worten. …vielleicht in etwa so: „Herzlichen Glückwunsch! Der Test hat bestätigt, dass Sie einen Jungen erwarten werden und außerdem wird er das Down-Syndrom haben. Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich jetzt fühlen, als würde Ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen. Das ist völlig normal! So geht es fast allen Frauen. Ich schlage vor Sie nehmen sich jetzt erstmal Zeit und Ruhe um diese Nachricht zu verarbeiten. Und dann bekommen Sie von mir alle Informationen zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten aus der Umgebung. Machen Sie sich keine Sorgen! Wir sind eine starke Gesellschaft, wir leben im 21. Jahrhundert – alles wird gut! – Ich bin für Sie und all‘ Ihre Fragen da! Und ansonsten sehen wir uns spätestens in 4 Wochen zur nächsten Vorsorgeuntersuchung.“
Die Realität ist mitunter vergleichsweise trist, kalt und bedrückend. Dramatischer Blick des Gegenübers, der die Botschaft meist unbeholfen und hölzern übermittelt. Oftmals direkt mit dem Hinweis auf die nächsten möglichen Untersuchungsschritte und die Möglichkeit zum Abbruch der Schwangerschaft. Das „Problem“ möglichst schnell aus der Welt schaffen, damit man sich nicht länger damit befassen muss.
Ich frage mich, wo sind die Frauen, die sich aufgrund einer unausgewogenen, wenig ermutigenden Beratung, gepaart mit gesellschaftlichem Druck gegen ihr Kind entschieden haben und im Nachhinein darüber einfach sehr traurig sind?
Und kann es sein, dass es in Zukunft noch viel mehr dieser Frauen geben wird, wir davon aber nichts mitbekommen werden, weil die Scham über den Abbruch vielleicht einfach zu groß ist, als dass man sich öffentlich darüber äußern möchte? Ähnlich wie bei Frauen, die einfach kein Kind wollten, sich für einen Abbruch entschieden haben und sich auch noch im 21. Jahrhundert für diese Entscheidung rechtfertigen müssen.
Um es nochmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Nicht der NIPT als solches ist das Problem! Würden wir in einer Welt wie der oben geschilderten leben, würde der Bluttest sogar einen positiven Beitrag leisten für die Bindung zwischen Kind und Eltern, die nach der Geburt nicht erstmal in Trauer und Schock verharren und die Diagnose verarbeiten, sondern sich wie alle anderen Eltern einfach auf das Kennenlernen des neuen Familienmitglieds konzentrieren könnten. Stand heute ist aber, dass es so gut wie kein ausgewogenes Beratungsangebot für Schwangere gibt. Dass man meist und wenn überhaupt nur dann eine sogenannte Peer-to-Peer-Beratung (in diesem Fall Eltern beraten Eltern) angeboten bekommt, wenn man sich schon für sein Kind entschieden hat.
Eine defizitorientierte Beratung trifft nun also auf einen Test, der per Gießkannenprinzip der breiten Masse zur Verfügung gestellt wird, ohne die Zielgruppe auf die Defizite und das ethische Dilemma, dass durch die Kassenfinanzierung des NIPT entsteht, hinzuweisen. (mehr Infos zu den Defiziten und Kritik an der Kassenfinanzierung findet ihr hier #NoNIPT – Bündnis gegen die Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomien*).
Blickt man außerdem mal hinter die Kulissen und hinterfragt die Schlagworte u. a. gefallen in der Debatte zur Kassenfinanzierung des NIPT geführt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und durch die Hersteller der Tests, die von „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ und der durch die Kassen finanzierten „sozialen Gerechtigkeit“ sprechen, wird eigentlich recht schnell sichtbar, mit welchen tief in der Gesellschaft verankerten ableistischen und anti-feministischen Vorstellungen hier gearbeitet wird. Vorstellungen, die dafür sorgen, dass die Hersteller der Test letztlich einfach nur ihren Umsatz vergrößern (Danke Solidargemeinschaft!) ohne durch ihr Produkt einen Mehrwert für die Gesellschaft zu generieren – und vor allem auf Kosten einer Gruppe von Menschen mit zusätzlichem Chromosom.
Denn ja – es ist ableistisch, das Leben von Menschen mit Trisomie 21 als weniger lebenswert und vermeidbar einzustufen!
Ja – es ist ableistisch Menschen mit Behinderungen nicht an der Debatte um die Einführung des NIPT als Kassenleistung zu beteiligen, weil man ihnen abspricht in dieser Sache objektiv verhandeln zu können! (Wir Normalos sind auch nicht objektiv!)
Ja – es ist zutiefst anti-feministisch, schwangere Frauen letztlich als „hilflose“, „ängstliche“ Personen hinzustellen, die nur Dank NIPT in der Lage sind, ihre Schwangerschaft unbeschwert genießen zu können!
Ja – das Selbstbestimmungsrecht der Frau sollte an 1. Stelle stehen! Die Frage bleibt jedoch, wie viel man unter den derzeitigen Voraussetzungen tatsächlich selbstbestimmt entscheidet und wie viel Druck von außen mit einfließt – von einer Gesellschaft, die doch immer so viel Wert darauf legt, als tolerant und offen wahrgenommen zu werden.
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